Schon Tage zuvor und auch noch danach hört man vereinzelt Feuerwerkskörper knallen. Es scheint so zu sein, dass sie jedes Mal entzündet werden, wenn ich versuche mit meinen Hunden spazieren zu gehen. Wenn meine Hündin dies hört, zieht sie sofort den Schwanz ein und will nur noch nach Hause. Das Spazierengehen kann ich vergessen, vorläufig. Ich versuche es eine Stunde später wieder. Doch in der Silvesternacht ist es am schlimmsten. Auch an diesem Tag versuche ich mich an einem Gang ins Freie, auf den sich meine vierbeinigen Freunde auch schon freuen, aber irgendein Depp schießt irgendwo immer an diesem Tag, ganz gleich ob um acht Uhr in der Früh oder um drei Uhr nachmittags.
Wirklich schlimm wird es jedoch erst am Abend. Sobald es finster wird, fängt die Knallerei an und lässt bis in die frühen Morgenstunden nicht nach. Jedes Mal, wenn es laut wird, ein Lichtblitz den nächtlichen Himmel erhellt, schreckt meine Hündin zusammen. Ihr Herz rast vor Angst und sie hechelt, als wäre sie einen ganzen Tag durchgelaufen. Ängstlich drängt sie sich an mich und ist kaum zu beruhigen. Ich verbringe diese Nacht des Jahreswechsels also damit, dass ich einen panischen Hund im Arm halte, während ich die Menschen, die das veranstalten, verfluche. Ich gebe es zu, ich belege sie in meinen Gedanken mit den wüstesten Beschimpfungen, was auch nicht wirklich weiterhilft. Und ich frage mich, warum man das eigentlich macht. Würde es nicht genügen, wenn es denn schon sein muss und man die Luft über Gebühr mit Feinstaub belasten zu müssen glaubt, dass man das auf die Zeit zwischen zwölf Uhr Mitternacht und ein Uhr morgens beschränkt? Ja, was ist denn mit den Kindern, die zu der Zeit schon schlafen müssen und das schöne Lichtspiel nicht sehen können? Ich erinnere mich, dass sich auch meine Tochter, als sie klein war, vor der Knallerei versteckte. Damals hielt ich sie in einem lärmgeschützten Raum im Arm. Noch heute spüre ich, wie sie zitterte, viele Jahre danach. Jetzt ist es meine Hündin.
Während ich versuche, die Verwünschungen zu vergessen und mich darauf konzentriere, meine Hündin zu beruhigen, so gut es geht, denke ich an all die Tiere, die ungeschützt dort draußen sind, an all die Wildtiere. Gerade der Winter ist eine schwere Zeit für sie, da sie wenig Futter finden und mit ihren Energie- und Nahrungsreserven, sorgfältig umgehen müssen. Das bedeutet, dass jeder Fluchtversuch, jede Anstrengung einer potentiellen Gefahr auszuweichen, pure Energieverschwendung ist, die so weit geht, dass es ihnen das Leben kosten kann. Für sie fühlt sich die Knallerei an, als würde die Welt untergehen. Die hellen Blitze, der ohrenbetäubende Lärm und die unbekannten Geräusche, nehmen sie als lebensbedrohliche Situation wahr. Nirgends können sie sich davor in Sicherheit bringen. Vögel flüchten unter Schock in für sie ungewohnte Höhen, Rauchschwaden und helle Leuchtraketen führen zu Desorientierung, nehmen ihnen die Sicht und blenden sie, sodass sie Hindernissen nicht mehr rechtzeitig ausweichen können. Ebenso ungeschützt sind Tiere in Zoos und Tierparks. Dazu kommt erschwerend hinzu, dass sie ohne Fluchtmöglichkeit in ihren Gefängnissen ausharren müssen. Und all die Tiere in der Intensivtierhaltung? Eng zusammengepfercht stehen sie in den Ställen und müssen das ertragen. Sie können nicht aus. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich das Spektakel nicht erklären können, nicht wissen, dass es irgendwann wieder aufhört.
Und meine Hündin? Sie kann psychische Folgeschäden in Form von Angststörungen davontragen. Noch Wochen danach schreckt sie bei vielen Geräuschen zusammen, denen sie sonst keine Beachtung geschenkt hätte. Die Folgen gehen weit über diese eine Nacht hinaus. „Man kann sie ja darauf trainieren“, wird mir gesagt. Aber was ist mit den Wildtieren, mit jenen in den Zoos, in der sog. Nutztierhaltung? Die kann man nicht trainieren. Auch wenn es nur die eine Nacht ist, die Folgen sind gravierend. Das scheint aber jene nicht zu interessieren, die einfach Spaß an dem teuren, umweltverschmutzenden und tierfeindlichen Verhalten haben. „Wer Tiere liebt oder zumindest nichts gegen sie hat, der versetzt sie nicht unnötig in Angst und Schrecken“, merke ich an. Darauf werde ich regelmäßig darüber aufgeklärt, dass ich doch nicht alles verbieten könne. Es wäre auch gar nicht notwendig, irgendetwas zu verbieten, wenn die Menschen ein wenig Respekt gegenüber unseren Mitgeschöpfen hätten. Dann würden sie von sich aus darauf verzichten. Aber von Einsicht in das Naheliegendste sind wir weit entfernt. Deshalb bleibt für mich die Silvesternacht die schrecklichste des Jahres.
Buchempfehlungen zu Veganismus & Tieren:

Vegan ist Körperverletzung & Die Zukunft ist vegan hier ansehen

