Stell Dir vor, Du liegst im Bett, in Deiner Wohnung. Neben Dir Dein*e Partner*in, die Kinder in deren Zimmern. Du bist an einem Ort, der Dir Wärme, Sicherheit und Geborgenheit bietet. Hier fühlst Du Dich aufgehoben. Die Türe zugesperrt. Es kann nicht viel passieren. Es ist drei Uhr morgens. Die Zeit, zu der Du am tiefsten schläfst. Vielleicht hast Du auch gerade einen schönen Traum. Von dem Ausflug mit den Kindern am letzten Wochenende. Oder von der letzten Sonnenaufgangswanderung. Als Du plötzlich jäh aus dem Schlaf gerissen wirst. Vermummte Gestalten, ganz in Schwarz, die Waffen im Anschlag, brechen Deine Türe auf und zerren Dich aus dem Bett. Aber nicht nur Dich, sondern auch Deine*n Partner*in. Selbst vor den Kindern machen sie nicht halt. An die Wand gestellt, genau so wie Du aus dem Bett gezerrt wurdest. Im Pyjama oder gar nackt. Hattest Du nicht gedacht, dass Du hier sicher wärst? Hast Du nicht gedacht, es wäre ein Ort, an dem Deinen Kindern nichts zustoßen könnte? Und genau hier findet dieser Überfall statt. Aus heiterem Himmel. Völlig unvorhersehbar.
Dabei handelt es sich bei den vermummten, schwarzen Männern keineswegs um Verbrecher, sondern um jene Herren und Damen – möglicherweise, denn unter der Vermummung war es nicht zu erkennen -, die das Gesetz exekutieren sollen. Es handelt sich um Mitglieder einer Spezialeinheit, die Bürger*innen vor Verbrecher*innen schützen sollen. Aber wer schützt die normale Bürgerin vor den Vertreter*innen der Exekutive?
Dieser Vorfall, der sich in der Nacht des 21. Mai 2008 in 23 verschiedenen Wohnungen abspielte, entspringt nicht der Phantasie und fand auch nicht in einem Land statt, in dem Polizeiwillkür an der Tagesordnung steht, sondern in Österreich. Einem Land also, das aus einer Zeit gelernt haben sollte, in der es gang und gäbe war, dass Menschen über Nacht verschwanden – damals allerdings mit mehr Heimlichkeit. Oder vielleicht passt es gerade deshalb hierher. Doch mit dem Verschwinden lassen ist es eben nicht mehr so einfach, so unbequem diese Menschen auch sein mögen. Aber was hatten sich diese Menschen, die so friedlich in ihren Betten geschlafen hatten und sich offenbar keiner Schuld bewusst waren, zu Schulden kommen lassen, dass sie den staatlichen Stellen ein solcher Dorn im Auge waren? Handelte es sich um Terrorist*innen, Staatsfeinde, Kollaborateure, Saboteure, Anarchist*innen oder sonst welche Individuen, die den Staat zerstören wollten? Keineswegs. Es handelte sich um eine, relativ überschaubare Gruppe von Tierrechtsaktivist*innen. Nichts weiter. Aber was war ihr Verbrechen?
Zur Last gelegt wurde jenen Tierrechtsaktivist*innen die Gründung einer kriminellen Organisation. Ohne jede weitere Begründung verbrachten zehn der besagten Personen, bei denen die nächtlichen Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden, 100 Tage in Untersuchungshaft. Trotzdem eine lückenlose Observierung dieser Personen über 14 Monate lang lief, konnten keine wirklichen Delikte nachgewiesen werden. Lückenlose Observierung bedeutete das Anbringen von Peilsendern an den Fahrzeugen, das Abhören der Telefone, das Mitlesen von E-Mails, das Beschatten durch zivile Polizeibeamt*innen bis hin zum Einschleusen von Spitzeln in den Verein. All diese Maßnahmen hatten nur zu Tage gefördert, dass die beteiligten Personen Informationsveranstaltungen, Demonstrationen und Recherchen organisierten und durchführten. Bis auf aggressives Flyern* konnte nichts Ehrenrühriges festgestellt werden. Doch durch diese legalen Aktivitäten könnten andere auf die Idee gebracht werden, dass sie illegale Aktivitäten durchführten. Könnte sein. Konnte aber leider nicht bewiesen werden, ja nicht einmal wirkliche Anhaltspunkte waren vorhanden.
All diese Aktionen, die zu nichts führten und den Steuerzahler*innen viel Geld kosteten, waren letztendlich fruchtlos. Wie nicht anders zu erwarten, denn Tierrechtsaktivismus hat zum Ziel die Lage der Tiere auf gesetzlichem Wege zu verbessern. Das bedeutet, dass die Zusammenarbeit mit Politiker*innen und Wirtschaftsunternehmen angestrebt wird. Fatalistische oder gar zerstörerische Aktionen würden der Sache selbst nur schaden. Auch bei der Aufklärungsarbeit wird auf Verstehen aufgebaut, und nicht auf Überredung. Nur so kann es zu einem nachhaltigen Umdenken kommen. Darüber war man sich durchaus im Klaren. Doch was war dann der wirkliche Hintergrund, der wahre Antrieb?
Um das verstehen zu können, wollen wir das Rad der Geschichte ein wenig zurückdrehen, genauerhin, zum Beginn der Industrialisierung in Europa. Fabriken entstanden allerorten und dazu wurden Arbeitskräfte benötigt. Diese wurden vor allem aus der ländlichen Bevölkerung rekrutiert. Arbeitszeitregelungen oder Kollektivverträge gab es natürlich nicht, so dass eine Arbeitszeit von 14 bis 16 Stunden pro Tag eher die Regel als die Ausnahme war. Teilweise wurden die Menschen an die Maschinen angekettet, damit sie nicht davonliefen, denn an Disziplin, wie wir sie heute gewohnt sind, mussten die Menschen erst gewöhnt werden. Und es gab entsprechend brachiale Mittel dies zu erreichen. Langsam regte sich Widerstand. Der Beginn der Arbeitskämpfe und die Etablierung der ersten Gewerkschaften. Natürlich waren die Fabriksherren alles andere als erfreut darüber. Deshalb wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt diesen sozialistischen Umtrieben ein Ende zu setzen. Dazu verbündete sich das Kapital mit der Politik, um durchschlagskräftiger zu sein. Damals war das so. Heute ist das anders. Dennoch waren die Arbeitnehmer*innenrechte auf die Dauer nicht aufzuhalten. Dasselbe konnte beobachtet werden, als Frauen plötzlich ihr Selbstbestimmungsrecht einforderten. Viele diese Vorkämpferinnen der ersten Stunden landeten im Irrenhaus. Dennoch war die Etablierung der Frauenrechte ebenso wenig aufzuhalten. Genau dasselbe Spiel wiederholt sich heute im Tierrechtsaktivismus, ebenso wie im Ökologie- und Ökonomieaktivismus. Der Ablauf ist immer der gleiche.
Zunächst sind es wenige. Diese können ignoriert werden, ohne Schaden, ohne Bedenken. Dann werden es mehr, und es ist nicht mehr so leicht sie zu ignorieren, zumal wenn einmal „Otto Normalverbraucher“ auf sie aufmerksam wird und sich – wie fatal – zu fragen beginnt, ob da nicht was dran sein könnte. Als nächstes folgen die Medien, die immer erpicht darauf sind, Schlagzeilen zu machen, die empören, entrüsten und vor allem die Auflage steigern. Sobald die Aktivitäten nicht mehr ignoriert werden können, beginnt man sie zu bekämpfen. So wie der Tierrechtsprozess ein anschauliches Beispiel ist. Die zweite Strategie ist die Aktivist*innen selbst schlecht zu machen, denn das sind allesamt Leute, die nichts arbeiten und sich von der Allgemeinheit aushalten lassen. So die Meinung, die verbreitet und auch gerne angenommen wird.
Dennoch steckt etwas ganz Anderes dahinter, nämlich der Profit. Wenn sich in einer Gesellschaft etwas ändert, dann gibt es immer wieder Verlierer. Wenn der Konsum von irgendeinem Gut stagniert, macht irgendwer weniger Umsatz. Wenn kein Pelz mehr gekauft wird, müssen Pelzhändler, Pelztierfarmen, Zwischenhändler und Fallensteller andere Betätigungsfelder finden. Das macht man ungern, denn es würde bedeuten, etwas aufzugeben, was doch bis jetzt auch funktioniert hat. Niemand lässt sich gerne etwas wegnehmen, niemand sich sagen, dass sein Handeln ethisch nicht korrekt ist, schon gar nicht von so ein paar dahergelaufenen Aktivist*innen.
*Zur Aufklärung für all jene, denen nicht ganz klar ist, was unter aggressivem Flyern zu verstehen ist. Hier ein Beispiel. Aktivisten verteilen Flyer zum Thema Pelz. Geht nun der Aktivist aggressiv vor, so sagt er Folgendes: „Wissen Sie wieviel Leid die Herstellung Ihres Pelzes verursacht?“ Würde er nicht aggressiv vorgehen, würde er sagen: „Darf ich Ihnen eine Information bezüglich Pelz geben?“ Alles klar?!
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