Während sich Sabrina und Detlev bei ihren gemeinsamen Laufrunden immer besser kennenlernten, gewöhnte sich Detlev an Bakari. Er war ein Hund, der ihn beruhigte. Seine innere Unruhe wich in dem Moment, in dem er des Hundes ansichtig wurde. Es waren mittlerweile einige Wochen vergangen, als sich Detlev endlich ein Herz fasste und Sabrina fragte, ob sie nicht einmal miteinander ausgehen wollten, nicht verschwitzt und in normaler Kleidung.
„Was ist denn abnormale Kleidung?“, fragte Sabrina amüsiert, „Du meinst, unsere Laufsachen sind nicht alltagstauglich?“
„Nun ja, ich würde Dich auch in Laufkleidung ausführen“, meinte Detlev, „Aber normalweise zieht man was anderes an.“
„Normalerweise?“, wiederholte Sabrina, „Also ist das auch keine normale Situation?“
„Irgendwie nicht, es ist so zweckbezogen und doch so befreiend, hier mit Dir zu laufen“, erklärte er, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, „Aber ich wäre neugierig, wie Du Dich sonst so kleidest.“
„Also gut“, sagte Sabrina endlich, „Dann lass uns doch heute abend einfach mal nett was trinken gehen. Was meinst Du?“
Den ganzen Tag über war Detlev aufgeregt, freute sich auf ihre erste offizielle Verabredung. Obwohl, war es überhaupt eine Verabredung oder nicht vielmehr eben Laufpartner*innen, die sich halt eben mal abseits des Laufens trafen? Er gestand sich endlich ein, dass ihm Sabrina schon sehr gut gefiel. Sie war lustig, eloquent und empathisch. Beschämt fügte er für sich selbst noch dazu, dass sie auch nicht schlecht aussah und eine gute Figur hatte, obwohl er natürlich immer darauf plädierte, dass es die inneren Werte wären, die zählen. Aber es war auch nicht unangenehm. Beschwingt verließ er das Büro und beschloss noch die eine oder andere Besorgung in der Stadt zu erledigen, bevor er sich mit Sabrina traf. Er wollte gerade über den Hauptplatz gehen, als er wie versteinert stehen blieb. Da war ein Stand aufgebaut, der eindeutig einer bekannten Tierrechtsorganisation zuzuordnen war, doch das war nicht das, was ihn stutzig machte, sondern die Person, die dabei stand und über die Gräuel in der Tierindustrie erzählte. Die Stimme hatte er als erst erkannt. Es war die von Sabrina. Aber das konnte nicht sein. Oder doch? Er sah genauer hin und es war nicht zu leugnen. Angetan mit einem T-Shirt, das den Spruch „Friends – not food“ mit einem Schwein darauf zeigte, stand Sabrina. Wenn sie sich dafür engagierte, war sie doch eindeutig vegan. Aber warum hatte sie nichts davon erzählt? Nicht einmal eine Ahnung hatte er gehabt. Wohl hatten sie über manches gesprochen, nur darüber nicht. Dabei hatte er immer gehört, dass Veganer*innen jedem sofort wissen ließen, dass sie dieser Fraktion angehörten. Doch was hatte sie erzählt? Von ihrer Arbeit als Bibliothekarin, von ihrer Familie, ihrer Geschichte, ihrer Ausbildung, doch kein Wort hatte sie darüber verloren. Aber was ihm mehr Sorgen machte, wie sollte er mit diesem Wissen jetzt umgehen? Wie sollte er sich ihr gegenüber verhalten, jetzt, wo er es wusste? Und vor allem, was sollte das überhaupt sein, vegan? Ihm fielen all die Witze ein, die in seiner Umgebung so über diese mangelernährten, besonders komischen Menschen gemacht wurden, doch es war ihm nie jemand untergekommen, zumindest nicht bewusst. Dabei schien Sabrina so normal zu sein. Natürlich war sie für ihn mittlerweile ein besonderer Mensch, aber ansonsten eben wie alle anderen. Grübelnd ging er nach Hause. Zuletzt, als es allerhöchste Zeit war, aufzubrechen, wollte er nicht zu spät kommen, beschloss er, es einfach auf sich zukommen zu lassen.
Eine halbe Stunde später trafen sie sich in einem netten Café in der Innenstadt. Sabrina trug ein dunkelblaues, kurzes Sommerkleid, das ihrer Figur schmeichelte und ihr ausgezeichnet stand. Ihre roten Locken hatte sie erst gar nicht versucht zu bändigen und sie standen ihr wild vom Kopf ab, was ihr einen verwegenen Ausdruck verlieh. Detlev hatte sich ebenso schick gemacht, mit einer dunklen Stoffhose und einem hellen Poloshirt. Dann wanderte sein Blick auf seine Schuhe, Lederschuhe. Was hatte er noch rasch zu Hause gelesen, was vegan bedeutet? Vegan ist, wenn man nichts vom Tier isst oder trägt oder sie auch nicht zur Unterhaltung nutzt, also auch keine Lederschuhe. Er bildete sich ein, dass ihn von Seiten Sabrinas ein missbilligender Blick traf, weil sie sofort erkannt hatte, was ihm erst jetzt bewusst wurde. Aber so wie sie ihn begrüßte, mit einem Küsschen links und eines rechts auf die Wange, mit diesem bezaubernden Lächeln auf den Lippen, schien alles wie immer zu sein. Er versuchte sich ebenso ungezwungen zu verhalten, doch irgendwie gelang es ihm nicht. Endlich sah ihn Sabrina an, lange und durchdringend: „Sag, ist alles in Ordnung mit Dir? Du kommst mir ein wenig verkrampft vor.“ Was sollte er darauf antworten? Er wollte ihre beginnende Beziehung nicht mit einer Lüge beginnen, deshalb nahm er seinen ganzen Mut zusammen und meinte, „Ich weiß seit heute, dass Du vegan lebst und ich finde es traurig, dass Du mir nichts davon erzählt hast.“
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