Jeden Tag musste ich an diesem Stall vorbeigehen. Eigentlich war es ein Stall, auch wenn die Hallen eher an Fabrikshallen erinnerten. Es würde auch besser passen. Darin passierte Aufzucht als Produktion. Einmal hatte ich mir das ansehen dürfen. Hühner, die erst ein paar Wochen alt waren, waren zusammengepfercht worden, dass sie keinen Platz hatten. Als Babies, wenn sie angeliefert wurden, da sah die Halle weitläufig aus, aber sie waren darauf gezüchtet worden, so schnell wie möglich zu wachsen. Innerhalb von sechs Wochen erreichen sie ihr Schlachtgewicht. Das Wachstum passiert so rapide, dass viele nicht mehr aufrecht stehen können, weil die Brust zu schwer ist und sie nach vorne zieht, wenn der Staubsauger kommt und sie einsammelt, um sie zum Schlachthof zu bringen.
Sie werden unter einer Wärmelampe ausgebrütet, denn die Mütter legen Eier, immerfort. Dann kommen sie von der Brüterei in diese Halle. Ein wenig Stroh liegt herum. Sie werden hineingesetzt, dann wird das Tor geschlossen und niemand kümmert sich weiters um sie, denn das Futter und das Wasser werden automatisiert verabreicht. Wehe denjenigen, die nicht schnell genug wachsen und zu klein dafür sind, Futter oder Wasser zu erreichen, das immer weiter hochgezogen wird, ausgerichtet auf den Größenzuwachs der meisten Hühner. Ganz stimmt es nicht, dass sich niemand kümmert. Ab und zu, nicht allzu oft, geht jemand durch und sammelt die Leichen ein. Sehr bald sieht man nichts mehr vom Stroh und die Tiere stehen in der eigenen Scheiße. Sie verätzt die Füße. Dann, nach 42 Tagen, werden sie geholt und ermordet. Und ich muss daran denken, wenn ich vorbeigehe, jeden Tag.
Damals habe ich Fotos gemacht und sie veröffentlicht. Alles legal. Dennoch mag es einem den Magen umdrehen, dass das gesetzlich gedeckt ist. Es folgte ein Aufschrei. Sonst nichts. Die Menschen kaufen weiterhin das billige Fleisch und vergessen, wie es zugeht. Der Bauer baute einen Stacheldrahtzaun, installierte Überwachungskameras und ließ niemand mehr hinein. Es geht weiter wie bisher, bloß, dass es keiner mehr zu sehen bekommt. Tränen laufen mir bei dem Gedanken über die Wangen, als ich plötzlich ein leises Piepsen vernehme.
Ich höre aufmerksam. Da ist es wieder. Ich gehe in die Knie, um zu sehen, woher es kommt. Da entdecke ich ein kleines, gelbes Federknäuel, das sich seinen Weg weg von dem Transporter, über den Hof und durch den Stacheldraht gebahnt hatte. Jetzt saß es, augenscheinlich erschöpft, zu meinen Füßen und piepste herzerweichend. Ich war so froh, dass ich da war, denn es wäre sonst womöglich auf die Straße gelaufen. Deshalb bückte ich mich und nahm es in die Hand. Wie zart und weich es sich anfühlte. „Du bist so ein tapferes kleines Küken“, sagte ich, „Du hast offenbar eine Gelegenheit, die sich Dir bot, genutzt, um zu fliehen. Und dann solltest Du von einem Auto überfahren werden? Nein, das lasse ich nicht zu.“ Das Küken piepste zustimmend.
Jetzt läuft es in meinem Garten herum und hört auf den Namen Alma, was die Tapfere bedeutet. Wäre sie dort geblieben, wo sie war, wäre sie schon längst getötet worden. Es geht ihr gut. Sie hat ein Häuschen, in das sie sich am Abend zurückziehen kann, sicher vor Fuchs und Marder, eine grüne Wiese, auf der sie picken und herumlaufen kann. Kurz, sie führt ein ganz normales Hühnerleben und erfreut sich daran, so lange sie eben kann.
Eine tapfere kleine Henne, die ich gerettet habe vor einem kurzen Leben voller Qual und Schmerz. Eigentlich kann man das gar kein Leben nennen, sondern ein reines Dahinsiechen zum Tag der Ermordung. Die Türen werden verschlossen. Keine Aussenstehende sieht es. Wenn wir die Hühnerbrust abgepackt kaufen, dann ist keine Spur mehr von dem Elend. Es rieht nicht nach Kot und Tod, sondern sauber und aufgeräumt, etwas, was diese toten Tiere, die wir verspeisen, niemals erleben durften. Es ist normal, in einer Gesellschaft, in der sie nicht als Lebewesen gesehen werden, sondern als Produktionseinheiten, die dazu dienen, Profit zu lukrieren.
Nein, am System habe ich mit meiner Tat nichts geändert, aber ich habe Alma, dieser einen tapferen Henne, ein Leben geschenkt, das Millionen anderen verwehrt wird. Doch wir können es ändern. Jede einzelne von uns hat es in der Hand. Hört auf das Fleisch von Tieren zu kaufen. Werdet vegan. So einfach kann es sein.
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Nadine Hoffmann-Voigt
Danke für diese Schilderung. Ich hoffe, es machen sich einige Menschen mal Gedanken UND ändern ihr Konsumverhalten!
Ps. “ waren zusammengepfercht waren,“ :worden:
„habe ich mit meiner Tat nichts geändert, aber ich Alma,“ :habe:
Sorry, war mir nur aufgefallen.
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novels4utoo
Ja, das hoffe ich auch. Und vielen Dank für den Hinweis. Ich bin froh darüber.
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