Eselige Rettung

„Der Junge ist verstockt und hört nie zu“, meinte der Vater.
„Ach was, er träumt nur“, sagte die Mutter.
„Aber deshalb kann er doch hören, was man zu ihm sagt“, entgegnete der Vater verärgert.
„Er ist in seiner eigenen Welt. Da dringen die Worte schlecht hin“, versuchte die Mutter zu beschwichtigen.
„Das geht nochmals schlecht aus“, murrte der Vater noch nach, doch die Beschwichtigung hatte ihre Wirkung gezeigt.
Florian hatte tatsächlich nichts von der Unterhaltung mitbekommen, obwohl er am selben Tisch saß, doch der Fünfjährige war in sein Lieblingsbilderbuch, das über die Esel, vertieft und da erreichte ihn niemand. Es störte ihn auch niemand. Bis er sich etwas fühlte. Es war die warme, weiche Hand seiner Mutter, die ihm sanft über die Wange strich. Endlich kehrte er zurück und sah sie mit großen Augen an.

„Hör mal, mein Hase“, sagte sie, als sie sich seiner Aufmerksamkeit sicher war, „Ich muss in die Stadt, doch Bine wird auf Dich aufpassen. Sie hat versprochen mit Dir in den Park zu gehen. Das magst Du doch?“
„Super“, quittierte Florian die Aussicht hinausgehen zu dürfen, denn dort im Park gab es immer so viel zu beobachten. Bine, seiner großen Schwester mit dem komischen Freund, machte es gar keinen Spaß. Florian verstand das überhaupt nicht. Aber wie soll auch ein Fünfjähriger eine Fünfzehnjährige verstehen, die sich bisweilen selbst ein Rätsel war.

Wenige Minuten später stapften sie los. Florian voller Vorfreude. Bine engumschlungen mit ihrem Freund. Diese setzten sich unter den erstbesten Baum und begannen sofort zu knutschen. Florian fand das eklig. Aber das finden alle Jungen in seinem Alter. Der einzige Vorteil war, dass seine Schwester so vertieft war, dass sie auf Florian nicht weiters achtete. Der machte sich auf den Park zu erforschen. Jedes Mal, wenn er hier war, hatte er eine tolle neue Entdeckung gemacht. Diesmal war es ein Schmetterling, der seine ganze Aufmerksamkeit einforderte. So einen hatte Florian noch nie zuvor gesehen. Er leuchtete rot und seine Flügel waren von einem schwarzen Rand eingefasst. So flog er von Blüte zu Blüte und Florian folgte ihm. Immer weiter und weiter flog er. Immer weiter und weiter folgte ihm Florian, vorbei an Bäumen und Büschen, über Wiesen und Felder, wobei er den Schmetterling nicht aus den Augen ließ. Aber dann war er ihm doch entwischt. Florian schickte sich an umzukehren, doch er fand den Weg nicht, so sehr hatte er sich auf den roten Falter konzentriert. Mitten auf einer Wiese stand er und hatte keine Ahnung, wohin er sich wenden sollte. Es war bereits Mittag und die Augustsonne brannte unerbittlich auf ihn herab. Jetzt erst bemerkte er wie durstig er war. Er hatte das Gefühl von innen auszutrocknen. Noch nie in seinem jungen Leben hatte er sich so verloren und verlassen gefühlt.

Doch er war nicht ganz verlassen. Ein Vierbeiner hatte es bemerkt, einer mit zotteligem Fell und gutmütigen Augen. Langsam trottete er auf Florian zu.
„Dass die Zweibeiner nicht auf ihre Kinder aufpassen können“, dachte der zottelige Esel und stellte sich neben Florian. Vorsichtig näherte sich der Junge dem Tier, der es sich anstandslos gefallen ließ gestreichelt und gehätschelt zu werden. Dann setzte er sich in Gang und Florian ging mit ihm mit.
„Auf jeden Fall verstehen die Kleinen viel mehr als die Großen“, dachte der Esel, und führte Florian bis zum Rand des Parks. Dort lief ihm bereits seine Schwester entgegen.

„Wo warst Du denn, Du Hallodri?“, sagte sie verärgert, ohne verhindern zu können, dass die Erleichterung, die sie fühlte, ihn wiedergefunden zu haben, mitschwang.
„Ich bin einem Schmetterling, einem leuchtend roten nachgelaufen und dann hat mich ein Esel zurückgebracht“, erklärte Florian atemlos.
„So ein Unsinn“, mahnte seine Schwester, „Was Du Dir immer ausdenkst. Wo soll denn da ein Esel sein?“ Florian sah sich um, und tatsächlich war der Esel wieder zurückgetrabt.
„Große Menschen verstehen das ja doch nicht“, hatte sich der Esel im Weggehen gedacht, „Die Kleinen aber schon. Eigentlich schade für sie, dass sie alle groß werden.“

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