Laras Weihnachten unter Fleischessern (1)

Lara war verzweifelt. Es war ihr, als würde ihre bisher so behütete, harmonische Welt zusammenbrechen, von einem auf den anderen Tag. Nein, eigentlich innerhalb von ein paar Stunden. Und diese Welt war ihre Familie, in der sie sich bisher immer sicher und geborgen gefühlt hatte, ihre Eltern und ihre zwei Brüder. Doch jetzt schien diese Sicherheit und Geborgenheit in tausend Scherben zerbrochen zu sein, an denen sie sich ganz ordentlich geschnitten hatte. Und es war der Weihnachtsabend gewesen, auf den sie sich doch so gefreut hatte.

Lara erinnerte sich, dass das Jahr zuvor das Weihnachtsfest noch so idyllisch gewesen war, wie sie es seit ihrer Kindheit gewohnt war. Nein, sie war kein Kind mehr, mit ihren 19 Jahren, aber das Leben hatte es mit ihr gut gemeint, bisher. Mit Bravour hatte sie die Schule absolviert, war eingebunden in einen stabilen Freundeskreis und fühlte sich liebevoll umsorgt. Selbst ihre großen Brüder waren immer für sie da. Doch sie hatte das Gefühl gehabt, dass sie Abstand bräuchte, wollte sie wirklich erwachsen werden. Deshalb verkündete sie nach der Matura, dass sie studieren wolle, Mathematik und Physik. Das wäre an sich keine Überraschung gewesen, denn schließlich hatte sie eine besondere Affinität zu den naturwissenschaftlichen Fächern, worin sie vor allem ihr Vater immer tatkräftig unterstützt hatte. „Das ist sehr gut“, hatte er die Wahl ihrer Studienfächer kommentiert, „Dann wirst Du bei mir studieren.“ „Nein, ich muss Dich enttäuschen“, hatte Lara gemeint, „Ich würde gerne nach Graz gehen und nicht in Wien bleiben.“ Sie hatte genau gespürt, dass sich ihr Vater vor den Kopf gestoßen gefühlt hatte, als wenn sie vor ihm hatte fliehen wollen. Deshalb hatte sie ihm ihre Beweggründe genau erklärt und letztendlich hatte er sie scheinbar akzeptiert. Wohlgemut hatte sie ihr Studium in Graz angetreten und war brav zu Weihnachten nach Hause gefahren. Nachdem Lara noch nie so lange von ihrer Familie getrennt gewesen war, hatte sie sich besonders darauf gefreut. Ihre Mutter hatte sie noch mehr verwöhnt als sonst. „Weißt Du Lara“, hatte sie in einer ruhigen Minute gestanden, „Deine Brüder sind ja schon länger aus dem Haus. Du warst mein Nesthäkchen und jetzt, wo Du auch ausgezogen bist, fühlt sich alles so leer an. Aber es ist schon richtig so. Ich finde es gut, wenn Du Deinen Weg gehst, so wie Du es für richtig hältst.“ Mit diesem wohligen Gefühl war Lara einige Tage später wieder nach Graz zurückgefahren. Die Ferien waren zwar noch nicht zu Ende, aber sie hatte sehr viel zu tun. So wollte sie diese Zeit noch nutzen, um zu lernen. Eines Nachmittags, als ihr der Kopf schon geraucht hatte vom vielen Lernen, beschloss sie einen Spaziergang durch die Innenstadt zu machen. Dabei war sie auf eine Kundgebung des VGT gestoßen. „Verein gegen Tierfabriken“, hatte sie gelesen, „Vegan für die Tiere“, hatte auf einem anderen Transparent gestanden. Sie hatte sich bisher nicht viele Gedanken gemacht. Natürlich war ihr bewusst, dass es auch Verfehlungen in der Tierhaltung gab, aber richtig informiert hatte sie sich bisher nicht. Deshalb hatte sie kurzerhand beschlossen, diese Wissenslücke aufzufüllen. Kurzerhand war sie zu dem Stand gegangen und hatte sich alles erzählen lassen. Eineinhalb Stunden später war ihr Entschluss festgestanden, sie musste vegan werden, denn sie wollte nicht mehr Teil dieses ausbeuterischen, lebensverachtenden Systems sein. Eine ziemlich weitreichende Veränderung, doch sie hatte von Anfang an tatkräftige Unterstützung von den Aktivist*innen des VGT bekommen. Das war auch der Grund, warum sie es nicht dabei belassen hatte, vegan zu werden, sondern sie wurde auch aktiv, hatte quasi den Platz gewechselt, so dass sie nun ihrerseits Informationen weitergab und Bewusstseinsarbeit leistete. Eine Woche später hatte sie ihren Eltern von den Neuerungen in ihrem Leben berichtet. Ihre Mutter hatte von Anfang an Verständnis gezeigt, doch ihr Vater hatte bloß gemeint, „Das wird sich schon wieder auswachsen. So einen Unsinn hält sie sicher nicht lange durch.“ Entgegen dieser Prophezeiung hatte sie nicht nur durchgehalten, ihre Sicherheit, das Richtige zu tun, hatte sich von Tag zu Tag, mehr verfestigt. Natürlich hatte sie einiges an Widerstand erlebt, doch es hatte ihr nicht allzu viel ausgemacht, denn sie war überzeugt davon, dass es sich dabei um Menschen handelte, die es eben noch nicht besser wussten. Sie war während dieses Jahres nicht nach Hause gefahren, auch weil sie den Sommer über in einem veganen Cafe in Graz gearbeitet hatte, aber wohl auch, weil sie sich unsterblich verliebt hatte. So war ihr nächster Besuch in ihrem Elternhaus der zu Weihnachten gewesen, dieses schrecklichste aller Weihnachten.

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