Der Tisch war wunderschön gedeckt gewesen. Ein dezent besticktes Tischtuch hatte darauf gelegen, begleitet von den passenden Servietten und einem, darauf abgestimmten Service. Kerzen hatten gebrannt und es hätte alles wunderschön sein können, wäre da nicht das tote Tier darauf gestanden. Lara hatte unvermittelt schlucken müssen, auch ihre Tränen hinunter. „Das Fest der Liebe ist ein Fest des Todes, eigentlich“, hatte sie gedacht, es aber nicht ausgesprochen, während sie ihren Platz eingenommen hatte. „Sehr schön“, hatte sie ihren Vater sagen hören, „Nun wollen wir das Tischgebet sprechen und dann gemeinsam diesen wunderbaren Vogel verspeisen, den Gott uns in seiner Weisheit zur Speise geschenkt hat.“ Automatisch hatten alle die Hände gefaltet und die Augen gesenkt, während der Herr des Hauses besagtes Gebet sprach. „Nun, dann lasst uns anfangen“, hatte er erklärt und das Tranchieren übernommen, „Lara, Du wirst auch das essen müssen, denn bei uns gibt es keine Extrawürste.“
„Außerdem ist es schrecklich ungesund, kein Fleisch. Es ist quasi gegen die göttliche Ordnung und macht krank“, hatte er des Weiteren erklärt, „Warum machst Du das überhaupt?“ „Weil ich gesehen habe, wie die Tiere leiden und ich möchte nicht, dass sie wegen mir leiden müssen“, hatte Lara schlicht geantwortet, „Ich will nicht, dass auch nur ein einziges Lebewesen wegen mir ausgebeutet oder getötet wird.“ Mehr hatte sie nicht gesagt, doch sie hatte beobachten können, wie die Lippen ihres Vaters schmal wurden, er die Augen verengt hatte und sein Gesicht vor Zorn rot angelaufen war. „Aber ich, ich beteilige mich daran. Mir wirfst Du vor, dass ich Leid verursache und quäle und was nicht noch alles“, hatte er sie angeschrien, „Was geht nur in Deinem kranken, veganversifften Hirn vor.“ Es war ein Angriff gewesen und Lara hätte sich am liebsten verkrochen. Dann hatte er theatralisch den Krawattenknopf gelockert, was Lara dazu genutzt hatte, um einzuwerfen, dass sie das nicht gesagt hätte, sondern nur ihre Beweggründe formuliert hatte. „Aber immerhin, heute kriegst Du nichts von dieser Pampe, außer Du isst nur Rotkraut, denn die Knödel sind sicher nicht vegan“, hatte er hämisch angemerkt. Immer noch keuchend vor Wut hatte er sich gesetzt. „Die Knödel waren schon immer vegan“, hatte nun Sophie erklärt, „Und ich habe für uns beide, für Lara und mich extra veganen Braten gemacht.“ Da erst war dem Vater bewusst geworden, dass neben dem Teller, auf dem die tote Gans lag, noch ein kleinerer gestanden hatte, auf dem sich eine Art Braten befunden hatte. „Du kannst gerne kosten“, hatte nun Laras Mutter erklärt, wobei Lara aufgefallen war, dass sie nur mühsam ein Lachen zu unterdrücken gesucht hatte. „Habe ich Dir nicht ausdrücklich erklärt, dass Du auf gar keinen Fall für die da extra kochen darfst?“, hatte der Vater wutschnaubend gefragt. „Hast Du durchaus, mein Lieber“, hatte die Mutter trocken erwidert, „Aber ich habe auch nicht extra für Lara gekocht, sondern für Lara und mich, denn ich habe mich auch schlau gemacht und bin nun ihrer Meinung, ich will nicht mehr an der Ausbeutung beteiligt sein.“ „So werde ich also in meinem eigenen Haus verraten!“, war es dem Vater entfahren, „Dann hast auch Du unter meinem Dach nichts mehr verloren.“ „Soll mir recht sein“, hatte daraufhin Sophie lapidar erklärt, „Ich komme sehr gut ohne Dich klar. Ist nur die Frage, ob Du es auch kannst. Deine despotische Art ist mir schon lange ein Dorn im Auge. Komm, Lara, wir gehen.“ Damit hatte die Mutter die Serviette ordentlich zusammengelegt und mit Lara den Raum verlassen, während die Männer das Treiben mit offenem Mund beobachtet hatten.
Von einem auf den anderen Moment war Laras Familie auseinandergebrochen. „Das hatte ich nicht gewollt“, hatte Lara ihrer Mutter gegenüber erklärt, als sie, das Nötigste mit sich führend, im Zug nach Graz gesessen hatten. „Ich weiß, aber das war schon lange überfällig. Es hat mir gezeigt, wie wenig Respekt Dein Vater für uns hat und wohl auch Liebe. Vielleicht kann er nicht anders, aber ich werde nicht den Rest meines Lebens mit ihm verbringen, nicht, wenn er so ist“, hatte Sophie erklärt, „Ich weiß nicht, ob er es versteht, aber wenn nicht kann ich auch nichts machen.“ So waren diese Weihnachten verlaufen und Lara war immer noch tieftraurig. Es galt, endgültig Abschied von ihrer Kindheit zu nehmen und dazu gehört auch, den Schmerz auszuhalten, wenn man erkennt, dass man völlig verschiedene Ansichten vom Leben hat, wobei eine Seite nicht bereit ist, darauf Rücksicht zu nehmen. Wäre es denn wirklich so schwer gewesen, ihre Ansichten als ihre zu akzeptieren? Wäre es so absurd gewesen, die eigene Tochter, so zu nehmen, wie sie ist? Wäre es so unmöglich gewesen, zu lieben ohne Bedingungen zu stellen?
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