Die Nacktaffen kommen

„Hast Du es gesehen? Hast Du es gehört“, schallt es dem Silberrücken von allen Seiten entgegen, der es sich unter einem Baum gemütlich gemacht hat und ungerührt an schmackhaften Blättern kaut.
„Ja, ich habe es gesehen. Ja, ich habe es gehört“, bemüßigt er sich endlich zu reagieren, „Sie sind ja nicht zu übersehen. Nicht zu überhören. Wo sie einfallen, fallen sie in Scharen ein. Es sind so viele. Und sie machen einen solchen Lärm. Sie wollen gesehen werden. Gehört werden. Sie sind so aufdringlich und penetrant und von sich selbst eingenommen und nehmen sich so ungeheuer wichtig.“
„Sie werden alles niedermachen“, lässt sich eine Stimme vernehmen, „Alles, alles.“
„Sie werden alles niedermachen“, bestätigt der mächtige Gorilla träge, „Und dann bauen sie Futter an und stellen Zäune auf und dann werden sie einige von uns fangen und einsperren. Dann nehmen sie ihnen alles weg. Die Milch und die Eier und die Babies. Dann töten sie sie. Die Kadaver fressen sie. Niemand wird entkommen. Sie meinen, es gehört ihnen, wie sie es sich nehmen, das Land, die Bäume und die Tiere.“
„Was heißt gehören?“, fragt jemand aus der Menge.

„Es heißt, dass sie sagen, das ist jetzt meins und niemand anderer darf es haben“, erklärt der große Affe, „Wenn ich jetzt den Baum sehe, dann dürfen alle darauf klettern, die klettern können, alle unter seinem Dach Schutz suchen oder Ruhe finden, alle auf ihnen aus der Luft landen, die fliegen oder weit springen können, alle darauf ihr Nest bauen, die Nester in Bäumen bauen, doch sie meinen, sie gehen her und sagen nur, mir gehört der Baum und niemand anderer darf dann hin. Das ist der Baum oder das Tier oder auch andere von ihrer Spezies. Sie haben keinen Grund, keine Rechtfertigung, nur, dass sie es können. Deshalb tun sie es.“
„Sie werden uns alles wegnehmen. Auch unser Leben“, meint wer anderer, „Sie sind so unersättlich. Und sie haben Maschinen. Gewehre.“
„Sie werden uns alles wegnehmen. Auch unser Leben“, bestätigt der Gorilla, „Sie haben Maschinen, mit den sie das Land kaputt machen und sie haben Gewehre, mit denen sie uns kaputt machen.“
„Vielleicht kann man mit ihnen reden“, lässt sich eine piepsige Stimme vernehmen.
„Man kann mit ihnen nicht reden“, entgegnet der Gorilla, „Sie verstehen nichts. Nichts vom Land, das sie kaputt machen und auch nicht von den Leben, die sie zerstören. Sie sind so. Machen kaputt und zerstören. So lange, bis nichts mehr da ist, was kaputt gemacht und zerstört werden kann. Das, obwohl sie mit ihrem großen Kopf eigentlich verstehen können, dass sie auch kaputt gehen, wenn sie einmal alles andere ruiniert haben. Das stört sie nicht. Sie hören nicht auf. Sie werden nie aufhören.“
„Dann werden wir gegen sie kämpfen“, wirft jemand ein.
„Du kannst es probieren“, schlägt der Silberrücken vor, „Aber es wird keinen Sinn haben. Sie sind zu viele. Sie haben Gewehre und andere Waffen. Dagegen können wir nichts ausrichten. Vielleicht können wir ein, zwei oder sogar mehr töten, wenn wir sie aus dem Hinterhalt angreifen, wenn sie keine Zeit haben, ihre Gewehre zu benutzen, aber dann sind die anderen da. Sie werden uns jagen. Sie werden auch Fallen stellen. Auch, weil sie das Fell brauchen. Sie sind nackt. Sie haben kein eigenes Fell. Deshalb müssen sie ein fremdes anziehen, das von Toten, von uns.“
„Dann müssen wir fliehen, irgendwo anders hingehen“, meldet sich eine andere zu Wort.
„Das werden wir wohl müssen“, gibt der Gorilla zu, „Wir werden fliehen und uns einen anderen Ort suchen, um in Ruhe und Frieden zu leben. Und nach einiger Zeit werden sie auch dorthin kommen. Kann sein, dass uns eine kurze Atempause bleibt, aber irgendwann kommen sie überall hin. Sie werden immer mehr, so viel mehr. Dann müssen sie weitergehen, die Spur des Kaputt-machens und der Zerstörung hinter sich herziehend. In ihren Spuren ist nur mehr Leblosigkeit. Und irgendwann werden sie überall sein. Dann wird es keinen Ort mehr geben, an den wir fliehen können.“
„Dann wollen wir es machen, so lange es eben geht“, wird nun gefordert.
„Nun, dann lasst uns gehen“, meint der große, befellte Affe, „Es wird eine gute Zeit sein, so lange wir die Nacktaffen nicht in unserer Nähe haben. Wir wollen sie nutzen, denn sie wird nur allzu schnell vorbei sein. Und am Ende ihres Zerstörungswerkes, dem sie auch selbst zum Opfer fallen werden, wird wieder Ruhe einkehren und die Welt wird sich erholen.“
Damit stand er auf und ging ihnen voran, zu einem Ort, an dem sie unbehelligt wären von den Nacktaffen, zumindest für eine Weile.

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