Sterben (2)

Unwillkürlich drängte sich mir die Frage auf, ob Du Schmerzen hättest, ob das Sterben denn weh täte oder ob es einfach ist, als würde das Leben herausströmen, ganz sacht, so dass Du müde wurdest, die Lider schlosst, um sie irgendwann nicht mehr zu öffnen. Aber es wirkte, als hättest Du keine Schmerzen, denn Du lagst, den Kopf in meinem Schoß gebettet, friedlich und ruhig. Ein paar Mal noch hobst Du die schweren Lider und sahst mich an, als wolltest Du Dich vergewissern, dass ich noch da wäre, da bei Dir, nicht nur körperlich anwesend, denn das spürtest Du ja, sondern tatsächlich präsent und mit Dir. Und ich war da. So wie ich es Dir versprochen hatte, an dem Tag, an dem Du zu uns kamst, Dich niemals allein zu lassen, ganz gleich was passierte, bis zum letzten Moment. Automatisch dachte ich daran, wie es wohl ist, selbst zu sterben. Wenn man einfach einschläft und nicht mehr aufwacht, was sollte es mich tangieren. Mich wohl nicht, aber die Menschen, denen ich etwas bedeute. Für sie gilt es auch das Leben anzunehmen, nicht nur, aber auch. Mein eigener Tod berührt mich wohl weniger, viel mehr der Deine. Ich kann mich nicht damit trösten, dass es ein Leben nach dem Tod gibt oder eine Auferstehung oder sonst irgendetwas, weil ich nicht daran glaube. Denn sind all diese Vorstellungen nicht allzu verführerisch uns von dem abzulenken, was wir eigentlich tun sollten, nämlich zu leben.

Das Leben hat nur einen Sinn, wenn es für sich steht. Wir haben keine Ausreden mehr. Wir können uns nicht mehr rausreden und nichts mehr vertagen. Es muss ein Leben nach dem Tod geben, sonst wäre alles aus. Wäre es denn schlimm, wenn alles aus ist? Aber es muss doch etwas geben, was bleibt. Wir bleiben in unseren Kindern. Missbrauch der Kinder für uns. Sie haben ihr eigenes Leben und Vergehen. Wir bleiben in dem was wir geschaffen haben. Alles was geschaffen wurde, vergeht. Selbst Van Goghs Sonnenblumen. Und Goethes Faust. Es ist nicht wichtig. Aber dann gibt es keine Antwort auf das Wozu. Wir brauchen keine Antwort auf das Wozu, wenn wir jetzt leben. Ein Leben nach dem Tod ist eine bloße Beruhigung heute nichts gemacht zu haben. Chancen und Gelegenheiten vergehen zu lassen. Verstreichen. Es ist ja dann alles besser und für ewig. Und wenn nichts besser und nichts ewig ist? Egal wie man es sich vorstellt, was soll daran besser sein, ewig zu leben. In welcher Form auch immer, bleibt es ein Gefängnis. Das Leben endet. Und das ist gut so. Wir sollten uns wieder dareinfinden. Wir sollten wieder an den Tod glauben. Wenn wir wieder an den Tod glauben, glauben wir auch wieder an das Leben. Nicht an irgendein Leben in einem dubiosen Irgendwann. Nichts bleibt. Nicht das Werk unserer Hände. Nicht das Werk unserer Lenden. Aber was, wenn nichts fortdauert? Gut, wenn nichts fortdauert. So bleibt die Aufforderung das Leben an sich zu leben. Kurze Spanne zwischen Geburt und Tod. Das ist alles. Bleibend ist was wir handelnd in Bewegung setzen. Handlung fordert Handlung. Eine Tat folgt der nächsten. Es ist unser Tun, das uns weiterträgt. Vielleicht nicht namentlich. Aber in seinen Auswirkungen. Sei achtsam in Deinem Tun. Achte auf den Moment, auf das Je-Jetzt. Dann brauchst Du auch keine Ausrede mehr.

Keine Ausreden, weder im Tun noch im Innehalten, in dem ich bei Dir bin, in dem Moment, in dem Dein Kopf in meinem Schoß ruhte. Du hattest schon länger nicht mehr die Augen geöffnet und ich spürte, wie es tatsächlich ernst wurde, dass sich das Leben verabschiedete. Der letzte Blick, den Du mir geschenkt hattest, war Dein Abschied. Es war mir, als wäre es Dir danach möglich, die Augen zu schließen, um sie nie wieder zu öffnen. Irgendwann hörte es auf, dass sich der Brustkorb hob und senkte und die Wärme des Lebens verließ Deinen Körper. Ich blieb, bis ich es beim besten Willen nicht mehr leugnen konnte, dass Du gestorben warst. Nicht gegangen, denn Deine leibliche Hülle war noch da. Äußerlich war keine Veränderung festzustellen. Ich hatte große Angst davor gehabt, doch an ihre Stelle war zuletzt eine große Ruhe getreten. Es war gut, so wie es war. Der Schmerz fraß sich in mich, weil es so ist, wenn uns jemand verlässt, der uns vertraut geworden war, der so viel Leben mit mir teilte. Er würde bleiben, dieser Schmerz, aber da war noch mehr. Da war auch eine tiefe Dankbarkeit für all die Zeit, die wir miteinander leben durften und in der Du mich immer wieder auffordertest, dies auch zu tun, zu leben. Dankbar selbst noch für diesen Schmerz, denn wenn dieser nicht wäre, dann hätte ich Dich nicht geliebt – und Du warst ein Teil meines Lebens und wirst es auch bleiben, wenn auch auf eine andere Art. Neben den Tränen stahl sich ein Lächeln in mein Gesicht. Nichts davon will ich missen. Es gehört zusammen, Anfang und Ende, Geburt und Tod, Schmerz und Freude. Die Bilder bleiben und die Erinnerungen und dieses wunderbare Gefühl, wenn Du da bist. Ich werde es nie vergessen, wie Du um mich herumsprangst vor Freude oder Dich einfach zu mir legtest, einrolltest und einfach da warst, bis zum letzten Augenblick, mit Deinem Kopf in meinem Schoß.

Wir brauchen uns vor dem Tod nicht zu fürchten, denn er kommt mit aller Unausweichlichkeit, zu jeder von uns, und vor allem dann nicht, wenn wir es nicht verabsäumt haben zu leben, die Momente mit Lebendigkeit gefüllt haben, mit Freude und Lachen, mit Liebe und Miteinander, Momente, in denen wir im Miteinander präsent waren, so dass es bleibt. Wohl steht zunächst der Schmerz im Vordergrund, aber er lässt nach, auch wenn er niemals ganz vergeht, doch die Freude überwiegt irgendwann, die Freude darüber, dass Du Teil meines Lebens warst und bist, nur ein wenig anders.

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