Die Kuh-Couch

Als Du mich fragtest, ob ich auf einer Kuh sitzen wolle, da dachte ich natürlich an eine, die auf der Weide herumtrabt, Gras frisst und sich dazwischen niederlegt, um wiederzukäuen. Deshalb meinte ich, wenn es der Kuh recht ist und ich nicht das Gefühl hätte, sie zu belästigen, dann würde ich das schon gerne mal ausprobieren. Du zeigtest Dich überzeugt, dass die Kuh nichts dagegen habe, denn sie sei es gewohnt und habe sich bis jetzt noch nicht dagegen gewehrt. Misstrauisch wurde ich erst, als Du mich in Dein Haus führtest, anstatt hinter dasselbe auf eine Weide. Was sollte denn eine Kuh im Haus verloren haben? Ist nicht ein Haus, das eingerichtet ist, dass es die menschlichen Bedürfnisse befriedigt, für eine Kuh ganz und gar ungeeignet? Das wollte ich fragen, doch ich kam nicht dazu, denn Du führtest mich direkt ins Wohnzimmer.

Als ich mich umsah, wusste ich, es war nicht notwendig, diese Fragen zu stellen, denn die Antwort konnte ich mir selber geben. Mitten im Wohnzimmer stand eine Kuh, auf der es sich wohl sitzen ließ, denn sie war tod. Mause- oder besser gesagt kuhtot. Doch nicht einfach nur das, man hatte sie offenbar ermordet und dann so ausgestopft, dass sie halb auf der Seite lag, die Beine angewinkelt. Gut, ein wenig eingedrückt wirkte der Bauch- und Brustbereich, denn nur so war es möglich, eine bequeme Sitzfläche zu bilden. Ansonsten bestand kein Zweifel daran, es war eine Kuh. Den Kopf hielt sie aufrecht und sah ein wenig nach links, so dass ich ihren Blick auf mir spürte. Obwohl ich wusste, dass sie tot war, durchfuhr mich ein Schauer. Es war mir, als würden selbst ihre leblosen Augen, die ganz und gar nicht so wirkten, zu mir sprechen. Was ich mir denn dabei gedacht habe, sie zuerst unter schrecklichsten Bedingungen zu halten, in Anbindehaltung, um sie dann meuchlings zu ermorden, damit ich eine Couch habe. Es wirkte so real, dass ich mich zurückhalten musste, nicht zu sagen, sie wäre ja nicht meine Couch und deshalb auch nicht meinetwegen gestorben. Aber nicht nur der Kopf, auch der Schwanz und die Hufe, alles war lebensecht präpariert worden. Ich merkte endlich, dass Du mich amüsiert mustertest, um mich nun aufzufordern, mich auf die Kuh zu setzen, denn ich hätte mich nun schließlich selbst überzeugen können, dass sie tatsächlich keine Einwände erheben würde, da ich sie ganz gewiss nicht in ihren Lebensäußerungen beschränken würde. Aber in ihren Todesabläufen, gab ich zu bedenken, da es mir höchst pietätlos erschien. Das Leid so plakativ und herzlos zu präsentieren, den Schmerz eines Lebewesens zu spüren zu geben, das nie leben durfte, um dann für die niedrigsten Bedürfnisse getötet zu werden, das fand ich erschreckend. Wie Du das nur tun könntest, meinte ich. Woraufhin Du mich nicht mehr amüsiert, sondern ernst ansahst. Weiters fragtest Du mich, was ich wohl schätzte, wie viele so tote Kühe in den Wohnzimmern standen, um darauf zu sitzen oder die Sitze in den Autos ausmachten oder ganz banal im Schuhschrank stünden oder an den Armen von Damen hingen, vorzugsweise Damen. Natürlich mag man hier die Herren nicht ausnehmen. Da konnte ich wohl nur erwidern, dass es wohl viele wären, dass Millionen von Kühen genau dafür sterben müssten, qualvoll gehäutet wurden, nur, damit Menschen darauf sitzen, sie anziehen oder als Prestigeobjekt mit sich tragen könnten. Der einzige Unterschied bestünde darin, fuhrst Du fort, dass es hier offensichtlich sei, das war eine Kuh, mit den Beinen und dem Schwanz und dem Kopf und den Augen. Um eben nicht daran erinnert zu werden, dass es sich bei dem Material, aus dem die diversen Gegenstände gemacht wurden, fühlende, leidensfähige Lebewesen waren, mache man es unkenntlich, schneide all die Attribute, die daran erinnern könnten weg, so dass nur mehr ein sauberer, mit hochgiftigen Chemikalien haltbar gemachter Rohstoff übrigbliebe, der sich angenehm anfühle und wohnlich anmute. Endlich begriff ich, dass diese Art der Präsentation die Augen öffnen könne für das Leid, das wir gerne verstecken, um nicht daran erinnert zu werden, dass uns so vieles umgibt, wofür eines unserer Mitgeschöpfe sein Leben lassen musste. Vielleicht würden viel mehr Menschen auf ihre Ledercouch verzichten, würden sie sich bewusst sein, dass sie auf einer toten Kuh sitzen.

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