Empathie verboten (1)

Anna war noch nie bei einer Geburt dabeigewesen, obwohl sie auf einem Bauernhof großgeworden war, der Milchwirtschaft betrieb. Das bedeutete, dass die Kühe ständig Kälber zur Welt bringen mussten, um den Milchfluss am Laufen zu halten, während die damit verbundenen Babies eher als Kollateralschaden gesehen wurden. Waren es Mädchen, so hatten sie zumindest noch die Möglichkeit, in die Fußstapfen ihrer Mütter zu treten, aber Buben waren für gar nichts gut. Nicht nur, dass sie keine Milch gaben, sie brauchten auch unheimlich lange, um Fleisch anzusetzen. Deshalb wurden sie so rasch wie möglich auf den Markt gebracht. Der Ertrag war zwar mäßig, aber jeden Tag, den sie früher den Hof verließen, war ein Tag weniger, den sie durchgefüttert werden mussten. Aber ganz gleich welches Geschlecht die Kleinen hatten, sie kamen kurz nach der Geburt von der Mutter weg und in Einzelhaft in sog. Kälberiglus. Anna konnte es nicht ertragen, auch wenn sie dem nicht auskam. Schließlich schrien die Mütter nach ihren Babies, oft tagelang. Doch niemand schien das zu tangieren – außer ihr. Deshalb wollte sie so schnell wie möglich weg. „Nur noch ein paar Monate, dann habe ich die Matura und ich gehe hier weg, für immer“, dachte Anna. Doch dann lernte sie Mathilde kennen.

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Die Nacktaffen kommen

„Hast Du es gesehen? Hast Du es gehört“, schallt es dem Silberrücken von allen Seiten entgegen, der es sich unter einem Baum gemütlich gemacht hat und ungerührt an schmackhaften Blättern kaut.
„Ja, ich habe es gesehen. Ja, ich habe es gehört“, bemüßigt er sich endlich zu reagieren, „Sie sind ja nicht zu übersehen. Nicht zu überhören. Wo sie einfallen, fallen sie in Scharen ein. Es sind so viele. Und sie machen einen solchen Lärm. Sie wollen gesehen werden. Gehört werden. Sie sind so aufdringlich und penetrant und von sich selbst eingenommen und nehmen sich so ungeheuer wichtig.“
„Sie werden alles niedermachen“, lässt sich eine Stimme vernehmen, „Alles, alles.“
„Sie werden alles niedermachen“, bestätigt der mächtige Gorilla träge, „Und dann bauen sie Futter an und stellen Zäune auf und dann werden sie einige von uns fangen und einsperren. Dann nehmen sie ihnen alles weg. Die Milch und die Eier und die Babies. Dann töten sie sie. Die Kadaver fressen sie. Niemand wird entkommen. Sie meinen, es gehört ihnen, wie sie es sich nehmen, das Land, die Bäume und die Tiere.“
„Was heißt gehören?“, fragt jemand aus der Menge.

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Alles Gute zum Muttertag

Als Stella an diesem Morgen zu mir kam und mich wie immer freudig begrüßte, bemerkte ich bereits ihre Unruhe, aber auch die Vorfreude auf das Kommende. Es war ihr erstes Kind.

„Du machst das sicher gut“, flüsterte ich ihr ins Ohr.

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