Unverhofft

Ariman, der 14jährige Sohn einer kurdischen Familie, die im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses wohnte, kurvte wie gewohnt mit seinem Trialrad herum. Seltsam war nur, dass Martha Gruber, die alte, verbitterte Dame aus dem ersten Stock, ihr Missfallen noch nicht zum Ausdruck gebracht hatte. Bis jetzt hatte sie noch keinen Tag verstreichen lassen, ohne von jeder sich ihr bietenden Gelegenheit Gebrauch zu machen. Schließlich hat sie an allem etwas auszusetzen. „Fahr nicht so schnell“ oder „Wehe, wenn Du mal wo anfährst“ oder „Mach nicht ständig so einen Krach“, waren einige der verbalen Attacken gegen den Jungen. „Denk dran, dass sie erst vor einem Jahr ihren Mann verloren hat“, erinnerte Liloz, Arimans Mutter, ihn jedes Mal, wenn er traurig über solche Attacken, nach Hause kam, „Jetzt ist sie ganz alleine und bald ist Weihnachten.“ Sie hatte ja recht, musste Ariman zugeben. Er hatte seine Familie, Mama, Papa und zwei Schwestern, nur die alte Frau hatte niemanden. Nun, ganz stimmte das nicht. Da war noch Cora, ihre auch schon betagte Golden Retriever Hündin, mit der Martha Gruber jeden Tag zwei Mal spazieren ging, immer zur selben Zeit, immer dieselbe Strecke.

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Eselige Rettung

„Der Junge ist verstockt und hört nie zu“, meinte der Vater.
„Ach was, er träumt nur“, sagte die Mutter.
„Aber deshalb kann er doch hören, was man zu ihm sagt“, entgegnete der Vater verärgert.
„Er ist in seiner eigenen Welt. Da dringen die Worte schlecht hin“, versuchte die Mutter zu beschwichtigen.
„Das geht nochmals schlecht aus“, murrte der Vater noch nach, doch die Beschwichtigung hatte ihre Wirkung gezeigt.
Florian hatte tatsächlich nichts von der Unterhaltung mitbekommen, obwohl er am selben Tisch saß, doch der Fünfjährige war in sein Lieblingsbilderbuch, das über die Esel, vertieft und da erreichte ihn niemand. Es störte ihn auch niemand. Bis er sich etwas fühlte. Es war die warme, weiche Hand seiner Mutter, die ihm sanft über die Wange strich. Endlich kehrte er zurück und sah sie mit großen Augen an.

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du tier du

beschimpfung, „du tier du“.

bestialisch, ungezügelt, maßlos, unmoralisch, verkommen, abwertend, entwürdigend.
zurückgesetzt auf ein unkommunikatives, vorsprachliches niveau.
den puren instinkten unterworfen.

würdigung „du mensch du“.

reflektiert, intelligent, sprachbegabt, moralisch, gezügelt, selbstbewusst.
herausgehoben aus der unbewussten natur.
nur dem intellekt gehorchend.
der mensch ist wertig.
das tier ist unwertig.
der mensch ist tier.
biologisch gesehen.
das wollen wir nicht hören.
der mensch ist zu zivilisiert, um natur zu sein.

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Mit dem Strick in der Hand

Wehmütig blickt er sich um, der Esel, den ich am Strick führe, zum ersten Mal, wehmütig zurück auf seine Weide und seine Kameraden. Die durften dort bleiben und weiter grasen und hin gehen wo sie wollen, zumindest innerhalb der Umzäunung, ohne Halfter, ohne Strick. Und die, die auf der Weide zurückblieben schauen denen nach, die weggeführt werden wohin sie wohl gehen, wann sie zurückkommen, kommen sie überhaupt zurück?

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Wenn man denkt, dass das denkt

Der moderne Mensch nennt sich Homo sapiens, was soviel wie verstehender, verständiger, weiser, gescheiter, kluger, vernünftiger Mensch bedeutet. Es heißt auch, dass dieser moderne Mensch mit all seiner Rationalität nicht nur die Krone der Schöpfung ist, sondern auch das größte Gehirn aller Primaten, unseren nächsten Verwandten hat, was ihn dazu befähigt eben jene Attribute zu erfüllen, die er sich selbst andichtet. Selbst die Philosoph*innen, die sich des Menschen angenommen haben, dessen Natur ergründen wollen, sind sich, je nach eigener Ausrichtung, in vielem uneinig, außer darin, dass der Mensch nicht nur Vernunft hat, sondern des Vernunftgebrauches fähig ist, sonst wäre es wohl müßig ihn dazu aufzufordern, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, wie Immanuel Kant es tut. Es ist eben auch jene Vernunft, die den Menschen von aller niederer Kreatur unterscheidet.

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„Eine Ratte ist ein Schwein ist ein Hund ist ein Junge“ (Ingrid Newkirk)

„Alles, was missverstanden werden kann, wird auch missverstanden“, sollte ein weiteres Axiom der Kommunikation lauten oder zumindest als Mahnung mitgegeben werden, denn eigentlich kann man alles, das nur ein wenig Inhalt hat, so drehen, dass der Inhalt bewusst entwertet oder umgekehrt wird. So ergeht es auch mit dem Satz der PETA-Gründerin Ingrid Newkirk „Eine Ratte ist ein Schwein ist ein Hund ist ein Junge“. Ganz abgesehen davon, dass es sich dabei um eine höchst komprimierte Aussage über das Wesen des Lebendigen handelt, wohl auch ein wenig plakativ, aber in der Grundessenz völlig einsichtig, so man denn ein Einsehen haben will. Nun ist es aber durchaus Usus die Sätze gerade von jenen, die sich als Anwält*innen unser nicht-menschlichen Mitgeschöpfe verstehen, zu boykottieren.

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