Sterben (2)

Unwillkürlich drängte sich mir die Frage auf, ob Du Schmerzen hättest, ob das Sterben denn weh täte oder ob es einfach ist, als würde das Leben herausströmen, ganz sacht, so dass Du müde wurdest, die Lider schlosst, um sie irgendwann nicht mehr zu öffnen. Aber es wirkte, als hättest Du keine Schmerzen, denn Du lagst, den Kopf in meinem Schoß gebettet, friedlich und ruhig. Ein paar Mal noch hobst Du die schweren Lider und sahst mich an, als wolltest Du Dich vergewissern, dass ich noch da wäre, da bei Dir, nicht nur körperlich anwesend, denn das spürtest Du ja, sondern tatsächlich präsent und mit Dir. Und ich war da. So wie ich es Dir versprochen hatte, an dem Tag, an dem Du zu uns kamst, Dich niemals allein zu lassen, ganz gleich was passierte, bis zum letzten Moment. Automatisch dachte ich daran, wie es wohl ist, selbst zu sterben. Wenn man einfach einschläft und nicht mehr aufwacht, was sollte es mich tangieren. Mich wohl nicht, aber die Menschen, denen ich etwas bedeute. Für sie gilt es auch das Leben anzunehmen, nicht nur, aber auch. Mein eigener Tod berührt mich wohl weniger, viel mehr der Deine. Ich kann mich nicht damit trösten, dass es ein Leben nach dem Tod gibt oder eine Auferstehung oder sonst irgendetwas, weil ich nicht daran glaube. Denn sind all diese Vorstellungen nicht allzu verführerisch uns von dem abzulenken, was wir eigentlich tun sollten, nämlich zu leben.

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Sterben (1)

Kurze Zeit ist es erst her. Ich werde diese Stunden nie vergessen, in denen ich mit Dir saß, auf der Matratze am Boden, auf der Du immer so gerne lagst, saß da, Deinen Kopf in meinen Schoß gebettet. Spätnachmittag, der in die Dämmerung überging und schließlich in die Nacht. Die Zeit hatte ihre Vorherrschaft verloren, die Macht mich anzutreiben und zur Tat zu schicken, denn wir wussten beide, dass es nun nicht mehr lange dauern würde, bis Du einschlafen würdest, für immer. Wobei wissen wohl zu viel gesagt ist, denn wie kann man wissen, wann es so weit ist? Wo beginnt das Sterben, das vom Tod abgeschlossen wird? Es war eine Ahnung, nichts weiter. Es war wohl wahrscheinlich, denn Du hattest ein Alter erreicht, das die statistisch gemessene, durchschnittliche Lebenserwartung bereits überschritten hatte. Dennoch, was sagt schon Statistik? Und dennoch fühlte es sich nach Abschied an, nach einem, dem kein Wiedersehen folgt. Die Balkontüre stand offen. Es war ein warmer Tag und aus dem Nachbargarten klang Kinderlachen zu uns, fröhliches, unbeschwertes Kinderlachen, während ich Dich streichelte, nicht reflexartig, sondern ganz bewusst, denn ich wusste nicht, wie lange ich das noch tun könnte, Deine Körperwärme spüren, Dir zu signalisieren, ich bin bei Dir, bis zum letzten Moment.

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Leben & leben lassen

„Leben und leben lassen ist meine Devise“,
sagst Du zu mir,
und ich sehe Dich an,
weil ich mich frage,
wie ich es Dir verdeutlichen soll,
dass ich Deiner Meinung bin,
aber doch etwas anderes meine,
als Du intendierst.

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