Unverhofft

Ariman, der 14jährige Sohn einer kurdischen Familie, die im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses wohnte, kurvte wie gewohnt mit seinem Trialrad herum. Seltsam war nur, dass Martha Gruber, die alte, verbitterte Dame aus dem ersten Stock, ihr Missfallen noch nicht zum Ausdruck gebracht hatte. Bis jetzt hatte sie noch keinen Tag verstreichen lassen, ohne von jeder sich ihr bietenden Gelegenheit Gebrauch zu machen. Schließlich hat sie an allem etwas auszusetzen. „Fahr nicht so schnell“ oder „Wehe, wenn Du mal wo anfährst“ oder „Mach nicht ständig so einen Krach“, waren einige der verbalen Attacken gegen den Jungen. „Denk dran, dass sie erst vor einem Jahr ihren Mann verloren hat“, erinnerte Liloz, Arimans Mutter, ihn jedes Mal, wenn er traurig über solche Attacken, nach Hause kam, „Jetzt ist sie ganz alleine und bald ist Weihnachten.“ Sie hatte ja recht, musste Ariman zugeben. Er hatte seine Familie, Mama, Papa und zwei Schwestern, nur die alte Frau hatte niemanden. Nun, ganz stimmte das nicht. Da war noch Cora, ihre auch schon betagte Golden Retriever Hündin, mit der Martha Gruber jeden Tag zwei Mal spazieren ging, immer zur selben Zeit, immer dieselbe Strecke.

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Meine Straße – Meine Regeln

Wilhelm Wurst war ein guter Autofahrer. Zumindest hielt er sich dafür. Seit er ein kleiner Junge war, träumte er von großen, ps-starken Autos. Er arbeitete hart, um sich seinen Traumwagen leisten zu können, dazu ein schmuckes Häuschen und ein nettes Frauchen. Doch das Wichtigste war und blieb das Auto. Das Haus war dazu da, dass man am Abend die Füße hochlegen und sich bedienen lassen konnte, die Garage, um sein geliebtes Auto darin abstellen zu können und das Frauchen als Aufputz auf dem Beifahrersitz. „Ich bin ein glücklicher Mann“, meinte er, wenn er mit stolzgeschwellter Brust, die das halboffene Hemd nur allzu offen zeigte, einen Raum betrat, in dem sich mindestens eine Person befand. Lässig, männlich, ein Geschenk für die Frauenwelt, davon war er überzeugt.

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Die Tragödie von Krefeld oder von der Doppelmoral, Heuchelei und Dekadenz in unserer Gesellschaft (1)

In den frühen Morgenstunden des 01. Januar 2020 erreichte die Welt eine niederschmetternde Botschaft: Das Affenhaus von Krefeld war, aufgrund der Dummheit und dem Traditionsbewusstsein normaler, guter Mitmenschen und der Ignoranz der Verantwortlichen, bis auf die Grundfesten abgebrannt. Die darin, teilweise seit Jahrzehnten, inhaftierten Affen kamen ums Leben. Sofort wird nach den Schuldigen gesucht, die auch rasch gefunden werden, bzw. sich finden lassen. Das wird dann noch als Zeichen von Courage gefeiert und der eine oder andere hat wohl ein wenig Mitleid mit den drei Damen, weil sie das ja nicht gewollt haben. Soweit die Tatsachen. Aber sind diese drei Frauen tatsächlich die Schuldigen oder sollte man nicht ein wenig das Blickfeld erweitern, um das wahre Ausmaß zu erkennen, das zu diesem Inferno führte? Dann kommt man sehr schnell zu einer weit über die individuelle Verantwortung hinausgehende, die gesellschaftliche.

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