Mit offenen Augen

Mit offenen Augen erkennt man
den Betrug, der hinter den schönen Bildern steckt,
den Verrat, der uns angetan wird mit lächelnden Gesichtern,
die Dreistigkeit, die uns die schönen Fassaden einreden,
damit wir nicht dahinter sehen,
die Bilder nicht zerreißen,
die Tore und Türen nicht öffnen,
hinter denen sich das Leid und Schmerz,
die Verrohung und die Ausnutzung verbergen,
in den Häusern und Zimmern,
den Hinterhöfen und Gärten,
den Ställen und Laboren,
den Zwingern und Käfigen,
denn mit offenen Augen ist es schwer, nicht zu sehen.

Mit offenen Händen ergreift man
was uns vorenthalten wird,
die Hand der Kranken, die ins Aus gestellt wurde,
die Schulter der Einsamen, die niemand will,
den Arm der Ertrinkenden im Meer der Einsamkeit,
den kleinen, vom Weinen geschüttelten Rücken des Kindes, das keine will,
die Wange zu streicheln, der vom Leben Verwundeten,
damit wir nicht tatkräftig unterstützen,
die Leidenden und vom Schmerz gebeutelten,
die Einsamen und Verstoßenen,
die Unliebsamen und Aufmüpfigen,
mit ihnen, zur Not mit der geballten Faust, zu kämpfen,
gegen ein System, das uns kaputt macht,
das im Individualisierungswahn die Einsamkeit zur Tugend erhebt,
im Konsumwahn suggeriert, das nur da Haben zählt,
im Zerstörungswahn den Krieg jede gegen jeden beschwört,
als läge es in der Natur der Tiere, auch unserer,
die Illusionen einer unnötigen, sinnlosen Betriebsamkeit niederreißend,
denn mit offenen Händen ist es schwer, nicht zu helfen.

Mit offenen Gedanken versteht man,
dass die Worte, die uns erklären,
wir sollten doch ruhiger unserer Arbeit nachgehen,
die anderen, die die oben, die Politikerinnen, die Macherinnen,
die würden sich schon kümmern,
alles Lügen sind,
dass die Phrasen auf Plakaten, in Inseraten, in Wahlprogrammen,
nichts als leere Phrasen sind,
die uns ruhigstellen sollen,
Valium fürs Volks,
weil die Religion nicht mehr wirkt,
weil die Wissenschaft jeder zugänglich ist,
weil das Wissen nicht mehr vorenthalten werden kann,
nur die Auslegung nach wie vor hegemonial gesteuert wird,
und wir dann erkennen,
dass wir dem herrschenden Narrativ der Unterwerfung unter das Kapital,
unter den Zwang der ewig gleich sinnlosen Geschäftigkeit,
unter die Fuchtel der hegemonialen Interpretation des Lebens,
nichts mehr mit uns gemein hat,
denn mit offenen Gedanken ist es schwer, nicht zu verstehen.

Mit offenen Augen ist es schwer, nicht zu sehen.
Mit offenen Händen ist es schwer, nicht zu helfen.
Mit offenen Gedanken ist es schwer, nicht zu verstehen.

Ein Glück für die Machtelite,
dass so viele sich weigern, die Augen zu öffnen,
denn mit geschlossenen Augen ist es leicht, nicht zu sehen,
und zu glauben, was einem gezeigt wird,
darauf fixiert zu bleiben,
auf die vorgegaukelte Harmonie und die Illusion eines Miteinander,
die lächelnden Gesichter, die uns suggerieren, uns Gutes zu wollen,
die fröhlichen Lebewesen, die sowas wie ein Leben angeblich haben,
denn mit geschlossenen Augen ist es leicht, nicht zu sehen.

Ein Glück für die Herrschenden,
dass so viele sich weigern, die Hände zu öffnen,
denn mit geschlossenen Händen ist es leicht, nicht zu helfen,
die Hand der Strauchelnden nicht zu ergreifen, sie vom Fall zu beschützen,
die Schulter der Weinenden nicht zu umfassen,
Hilfe vorzuenthalten der vermeintlich Schuldigen an ihrem Unglück,
Unterstützung zu verweigern, weil es doch an jedem selbst liegt,
den Grim, das Ungemach, die Peinlichkeit, die Armut, Krankheit, Trostlosigkeit in uns auslösen,

denn mit geschlossenen Händen ist es leicht, nicht zu helfen.

Ein Glück für die hegemonialen Meinungsmacher,
dass so viele sich weigern, die Gedanken zu öffnen,
denn mit geschlossenen Gedanken ist es leicht, nicht zu verstehen,
dass sie auf dem beharren, was ihnen dereinst in der Schule eingetrichtert wurde,
die allumfassende Erklärung, die sie behalten sollen,
dass sie nicht hinterfragen, was nichts weiter als Ablenkung ist,
dass sie nicht auf Idee kommen, den eigenen Gedanken zu vertrauen,
wenn sie von dem Indoktrinierten abweichen,
dass sie nicht wagen, sich von einer Denksperre zu emanzipieren,
denn mit geschlossenen Gedanken ist es leicht, nicht zu verstehen.

Mit geschlossenen Augen ist es leicht, nicht zu sehen.
Mit geschlossenen Händen ist es leicht, nicht zu helfen.
Mit geschlossenen Gedanken ist es leicht, nicht zu verstehen.

Und wie hältst Du es?
Bleibst Du brav dabei,
die Augen, Hände, die Gedanken geschlossen zu halten,
oder wagst Du es,
die Augen zu öffnen, um zu sehen, selbst wenn es schmerzt,
die Hände zu öffnen, um zu helfen, selbst wenn es Dich wütend macht,
die Gedanken zu öffnen, um zu verstehen, selbst wenn Du verzweifelst?

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