Mit offenen Augen

Mit offenen Augen erkennt man
den Betrug, der hinter den schönen Bildern steckt,
den Verrat, der uns angetan wird mit lächelnden Gesichtern,
die Dreistigkeit, die uns die schönen Fassaden einreden,
damit wir nicht dahinter sehen,
die Bilder nicht zerreißen,
die Tore und Türen nicht öffnen,
hinter denen sich das Leid und Schmerz,
die Verrohung und die Ausnutzung verbergen,
in den Häusern und Zimmern,
den Hinterhöfen und Gärten,
den Ställen und Laboren,
den Zwingern und Käfigen,
denn mit offenen Augen ist es schwer, nicht zu sehen.

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Geschichte einer Annäherung

Balduin Blatt betrat gutgelaunt das Tierheim. Endlich, nach so vielen Jahren des Bangens und Hoffens und Wartens, konnte er sich seinen größten Wunsch, einen eigenen Hund, erfüllen. Ausschlaggebend war, dass er nun als Autor den Sprung zu einem Verlagsvertrag geschafft hatte. Nicht nur, dass er sein erstes Buch in den Auslagen der Buchhandlungen vorfand, er hatte auch schon den Vertrag für einen weiteren in der Tasche und die Vorauszahlung auf dem Konto. Von nun an brauchte er sich keine Sorgen mehr machen und sich voll aufs Schreiben konzentrieren. Bisher musste er immer wieder minderbezahlte Jobs annehmen, um schlicht überleben zu können. Er könnte von nun an von zu Hause arbeiten und sich um den Hund so kümmern, wie er es verdient. Aber es sollte nicht irgendein Hund sein, sondern einer aus dem Tierheim. Auf die Frage was für einer, meinte er überzeugt, der Hund würde ihn finden.

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Lina & die Esel

Lina wuchs in einer Familie auf, in der jede mit den Händen arbeitete. Sie hatten eine kleine Landwirtschaft, mit Gemüse, Obst und Kartoffeln. Die Mutter legte, kochte ein und verkaufte diese Dinge am Markt. Der Vater war Tischler und Drechsler. Es gab immer etwas zu reparieren. Nein, reich wurde man nicht davon, aber es war genug, um ein bescheidenes Leben zu führen. Tiere gab es keine auf dem kleinen Hof, außer einer Eselstute, mit der Linas Mutter die selbstgemachten Lebensmittel auf den Markt gebracht hatte, früher. Jetzt durfte sie ihr Gnadenbrot fressen. Sie sollte nicht alleine sein, die kleine Tapsi. Deshalb brachte Lina sie eines Tages zum Nachbaresel, so dass sie schwanger wurde und einige Monate später ein kleines Mädchen gebar. Lina nannte sie Stupsi. Von Anfang an war Stupsi sonderbar, verschreckt, in sich gekehrt und ängstlich. So wie Lina, die als Kind zwar angefangen hatte zu sprechen, es aber bald wieder aufgegeben hatte. Seitdem war sie stumm und in sich gekehrt.

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Das Weltgericht der Tiere

Was wäre, wenn die nichtmenschlichen Tiere über die menschlichen zu Gericht sitzen? Wie wäre ihre Conclusio über jene? Hört es Euch an.

Hier könnt Ihr die Episode „Das Weltgericht der Tiere“ hören.

Unverhofft

Ariman, der 14jährige Sohn einer kurdischen Familie, die im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses wohnte, kurvte wie gewohnt mit seinem Trialrad herum. Seltsam war nur, dass Martha Gruber, die alte, verbitterte Dame aus dem ersten Stock, ihr Missfallen noch nicht zum Ausdruck gebracht hatte. Bis jetzt hatte sie noch keinen Tag verstreichen lassen, ohne von jeder sich ihr bietenden Gelegenheit Gebrauch zu machen. Schließlich hat sie an allem etwas auszusetzen. „Fahr nicht so schnell“ oder „Wehe, wenn Du mal wo anfährst“ oder „Mach nicht ständig so einen Krach“, waren einige der verbalen Attacken gegen den Jungen. „Denk dran, dass sie erst vor einem Jahr ihren Mann verloren hat“, erinnerte Liloz, Arimans Mutter, ihn jedes Mal, wenn er traurig über solche Attacken, nach Hause kam, „Jetzt ist sie ganz alleine und bald ist Weihnachten.“ Sie hatte ja recht, musste Ariman zugeben. Er hatte seine Familie, Mama, Papa und zwei Schwestern, nur die alte Frau hatte niemanden. Nun, ganz stimmte das nicht. Da war noch Cora, ihre auch schon betagte Golden Retriever Hündin, mit der Martha Gruber jeden Tag zwei Mal spazieren ging, immer zur selben Zeit, immer dieselbe Strecke.

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Seltsame Kameraden

Immer und immer wieder hatte er sie angestupst. Doch sie hatte sich nicht gerührt. Dabei war es doch ihre Zeit, endlich ihren Unterstand zu verlassen und auf die Wiese hinaus zu gehen. Es war hell und sonnig, und wenn das Gras so mit Tau überzogen war, dann schmeckte es beinahe am besten. Aber all das schien sie nicht zu interessieren. Sie lag einfach da und rührte sich nicht. Deshalb blieb er bei ihr stehen, trotzdem das Gras und die Sonne ihn nach draußen lockten. Es war ihm egal, denn ohne sie konnte er nicht hinausgehen. So lange er sich in seinem Eselleben zurückerinnern konnte, waren sie gemeinsam hinausgegangen. Am Morgen. Und am Abend wieder zurückgekehrt. Vom ersten Tag an.

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Unverhofft vegan (1)

Detlev fühlte sich beschwingt und lebensfroh, als er an diesem Morgen um 6.00 Uhr zu seiner üblichen Laufrunde startete. Um die Zeit war es noch sehr ruhig in dem kleinen Wäldchen, das nahe seiner Wohnung lag. Es tat gut, für sich allein und dennoch draußen zu sein. Doch es war nicht die Morgenfrische alleine, die ihn in eine solche Hochstimmung versetzte, sondern er hoffte das Mädchen mit den roten Kringellocken und dem großen braunen Hund wiederzusehen, die auch regelmäßig hier liefen. Montags, mittwochs und freitags, wie er festgestellt hatte. Und tatsächlich kamen sie, nachdem er die erste Biegung genommen hatte und die einzige etwas längere Gerade vor sich sah, in sein Blickfeld. Zügig, aber ohne Hast bewältigten die beiden, einträchtig nebeneinander, die Strecke, wobei der Hund mit seinen langen Beinen gerade mal einen leichten Trab benötigte, um mit seinem Frauchen Schritt zu halten.

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Artgerecht ist nur die Freiheit (1)

Meine Hündin kuschelt sich zu mir. Sie zittert am ganzen Körper und hechelt, weil ihr das nahende Gewitter Angst macht. Ich streichle sie und rede ihr beruhigend zu. Wirklich entspannen kann sie erst, wenn das Gewitter vorbei ist. Nein, sie wäre dort draußen in der Wildnis nicht überlebensfähig und dennoch bin ich überzeugt davon, dass nur die Freiheit artgerecht ist.

„Wenn man das ernst nimmt“, so wird mir gesagt, „dann müssten wir jetzt noch alle Tiere, Haus-, Nutz-, Gebrauchstiere, vor die Türe setzen und wir dürften uns nicht mehr um sie kümmern. Ziemlich perverse Einstellung. Du würdest sie also beinhart zugrunde gehen lassen?“

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Unverhofft

Seit Stunden saß ich nun da und meine Gedanken drehten sich im Kreis. Unbedingt musste ich fertig werden. Der Termin hing wie ein Damokles-schwert über meinem Nacken. „Woher kommt überhaupt der Ausdruck ‚Damoklesschwert‘?“, ging es mir unvermittelt durch den Kopf, und sofort ging ich daran, es nachzuschlagen. Da hatte ich zumindest den Eindruck, etwas zu tun. Doch wem machte ich etwas vor? Mir selbst. Immer nur mir selbst. Tat so, als wäre das jetzt wichtig. Doch das war es nicht. Wichtig war die Arbeit, die fertig gemacht werden wollte, und ich kam keinen Schritt vorwärts. Wie ein Hund, der seinen Schwanz jagt, kam ich mir vor, und selbiger setzte sich nun auch noch vor mir hin und winselte. Verstohlen sah ich auf die Uhr. Er wollte raus, sich bewegen. Natürlich, es war höchste Zeit. „Ja, wir gehen gleich“, sagte ich beschwichtigend, aber halbherzig, „Ich mach das da nur noch schnell fertig, dann gehen wir. Das musst Du doch verstehen!“

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Immer an meiner Seite

Ich sitze auf den Stiegen, die zur Eingangstüre zum Haus meiner Großeltern führen und versuche mich zu sammeln. Wann war ich das letzte Mal hier gewesen? Es muss viele Jahre her sein. Nichts mehr ist, wie es damals war. Meine Großeltern sind schon lange tot. Jetzt wohnt meine Tante in dem Haus, aber das ist nicht der Grund, warum ich ungern herkomme. Denn schon in diesem Damals, als sie noch lebten, war nichts mehr, so wie es vorher war. Vor dem Damals war eine glückliche Zeit für mich, diese ersten Jahre meines Daseins. Eigentlich bin ich hier aufgewachsen und mit an meiner Seite, so lange ich denken konnte, ein schwarzer Spaniel.

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