Mord ist keine Tierquälerei

Lilli war zwei Monate alt, als sie bei der Familie einzog, die ihr für immer zu Hause sein sollte. Nun, das wurde es auch, wenn auch anders als gedacht. Zunächst war alles eitel Wonne. Der Herr des Hauses wollte sie, da er Jäger war, entsprechend erziehen und ausbilden, sobald sie alt genug dafür wäre. Bis dahin sollte sie Welpe sein dürfen, aber sie sollte auch nicht glauben, dass das Leben nur aus Spaß und Futter bestände. Nein, dafür würde sie auch arbeiten müssen. Natürlich wusste der Besitzer Bescheid darüber, wie ein Hund zu erziehen wäre und vor allem, dass man so früh wie möglich damit beginnen sollte.

Lilli erwies sich als äußerst lernfähig. Innerhalb kürzester Zeit wusste sie die Zeichen zu deuten und befolgte sie brav und willig. Dafür wurde sie auch ausreichend belohnt, befand zumindest der Besitzer. Was ihm ein wenig Sorge bereitete war, dass sie immer noch stürmisch und überschwänglich war. Selbst im stolzen Alter von sieben Monaten spielte sie noch immer wie ein Welpe und hatte großen Spaß daran. Kritisch sah der Herr Jäger das, denn schließlich war es an der Zeit, dass die Hündin ernsthaft würde und vor allem ruhiger. Sie tat ihm den Gefallen nicht. Eines Tages spielte seine Tochter mit der Hündin. Es war ein ausgelassenes und wildes Spiel, in dessen Verlauf das Menschenmädchen von dem Hundemädchen gezwickt wurde. Damit war das Maß voll für den Vater. So ging das nicht. Diese Hündin war eine Gefahr für Leib und Leben. In diesem Alter noch so unbeherrscht zu sein, das ging gar nicht. Deshalb rief er sie zu sich, hängte die Leine an und ging mit ihr in den Wald. Lilli freute sich über den Spaziergang. Schließlich gab es im Wald immer so unheimlich viel zu entdecken und zu erschnüffeln. So hüpfte sie von einem Fleck zum nächsten, um alles an Informationen in sich aufzusaugen. Das einzig Merkwürdige war, dass der Herr Jäger sie diesmal nicht zur Ordnung gemahnte, nicht darauf bestand, dass sie bei Fuß gehen solle oder ähnliches. Das war zwar anders, aber vielleicht hatte er es sich einfach anders überlegt und sie durfte sich diesmal nach Herzenslust austoben. Was für einen tollen Besitzer sie doch hatte, der sie verstand und auf ihre Bedürfnisse einging. Deshalb nahm sie sich vor, ganz besonders brav zu sein und zu gehorchen, wenn sie dafür ab und an die Freiheit bekam, die Welt zu entdecken. Nichtsahnend, zumindest nichts Böses, sprang sie neben ihm her. Nachdem sie eine Lichtung erreicht hatten, wies er sie an sich hinzusetzen. Dann nahm er ein Messer aus der Tasche am Gürtel und schnitt ihr ordentlich die Kehle durch. Das kam so überraschend für die kleine Hündin, dass sie nicht einmal zurückschreckte. Innerhalb kürzester Zeit war sie tot. Schließlich verstand er sein Handwerk. Zu vertraut war er mit dem Morden und Ausnehmen, als dass da irgendetwas schief gehen konnte. So hatte es sich erfüllt, dass diese Familie Lillis Für-immer-Zu-Hause gewesen war, zumindest für fünf Monate. Und warum das alles? Weil sie ein junger Hund war, der sich nun mal benahm, wie sich ein junger Hund benahm und agierte.

Der Jäger kam vor Gericht. Wegen Tierquälerei war er angezeigt worden. Nun müsste man erwarten, dass er deshalb verurteilt werden würde, denn was kann eine schlimmere Quälerei sein, als einem unserer Mitgeschöpfe ohne Not und Mitleid das Leben zu nehmen. Doch weit gefehlt. Der Mann wurde freigesprochen. Es handelte sich, laut Richterspruch, nicht um Tierquälerei, da es nicht aus Lust am Töten geschah, sondern mit einer guten Begründung. Schließlich hatte der Hund das Kind gezwickt. Und schließlich sind Tiere nach dem Gesetz immer noch Sachen, mit denen man nach Gutdünken verfahren kann. Daran hat auch die Erhebung des Tierschutzes in den Verfassungsrang nichts geändert. So kann jeder und jede sein oder ihr Tier ermorden, so lange man keine Lust dabei empfindet. Es hat keine Bedeutung, denn es war ja schließlich „nur“ ein Tier.

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