Der volle, blasse Mond erhellte den Hof, sodass wir die Taschenlampen vorläufig nicht brauchten. Kein Hund lag vor der Türe, und es brannte kein Licht. Es stand allerdings auch kein Auto in der Einfahrt. So gingen wir direkt auf die Stalltür zu. Kurz hielten wir inne, doch kein Laut war zu vernehmen, außer den Klagelauten der Schweine im Stall. Vorsichtig öffneten wir das große Tor, das nicht verschlossen, sondern nur angelehnt war. Wir schoben den einen Flügel gerade so weit auf, dass wir hindurchschlüpfen konnten. Ein atemberaubender Gestank schlug uns entgegen, und ich fürchtete schon ohnmächtig zu werden. Doch ich riss mich zusammen. Jetzt war nicht der Zeitpunkt, schwach zu sein.
Während ich meinen Beobachtungsposten bezog, schaltetest Du die Taschenlampe ein, nahmst die Kamera und begannst zu fotografieren. Ich konnte gerade das erkennen, was vom Licht der Taschenlampe erhellt wurde. Muttersauen lagen da in ihren Eisengefängnissen, die so eng waren, dass sie gerade darin liegen konnten und die Ferkel ihre Brüste erreichten. In einem anderen Verlies standen junge Schweine, über und über mit Wunden bedeckt, mit angebissenen Ohren und Schwänzen. Und alles war voller Dreck. Ununterbrochen hörte man sie rufen, doch es bedeutete nichts, weil man es nicht verstand. Da gellte ein Schrei durch den Stall. Es war mir, als hätte ein Baby, ein Menschenbaby geschrien. Du leuchtetest in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war.
„Konnte es sein, dass wir deshalb Schweine so schlecht behandeln, weil sie uns so ähnlich sind, mit ihrer rosafarbenen Haut und den klaren, klugen Augen?“, schoss es mir unwillkürlich durch den Kopf, als ich die Quelle des Schreis entdeckte. Es war ein Ferkel, das sich im Spaltenboden verfangen hatte und nun verzweifelt versuchte, freizukommen. Dann knackte etwas. Ein weiterer Schrei. Das Bein war gebrochen. Ich vergaß meine Aufgabe und alles andere und stürzte zu dem Ferkel. Du wolltest mir sagen, ich solle es lassen, es mache keinen Sinn. Selbst wenn Du es gekonnt hättest, Du wusstest genau, dass ich nicht auf Dich gehört hätte. Ich war im Rettungsmodus, wie es vielen erging, die das zum ersten Mal machten. Verzweifelt versuchte ich, das kleine Beinchen herauszubekommen. Dass das Kleine bei jeder Berührung wie am Spieß schrie, machte die Sache nicht gerade leichter. Endlich gelang es mir. Dann hielt ich das verwundete, verschreckte Bündel Leben in Händen. Im nächsten Moment war die Taschenlampe ausgegangen und Du standst unvermittelt vor mir.
„Scheinwerfer“, sagtest Du nur, worauf hin wir uns zum Tor tasteten, so schnell wir konnten, uns durch den Spalt schoben und los liefen. Die Scheinwerfer waren immer noch eingeschaltet. Es kam mir vor, als würden wir mitten in der Auslage stehen Du risst mich mit Dir ins Gras, sodass wir weiterrobbten, was gar nicht so leicht war mit einem Ferkel in der Hand, doch ich hatte es mir nun mal in den Kopf gesetzt, es zu retten. Der Mann, vermutlich der Bauer, stieg aus dem Auto aus. Die Scheinwerfer waren verloschen. Er ging über den Hof und schaltete das Licht ein. Dann stand er da und sah sich misstrauisch um. Hatte er bemerkt, dass das Tor zum Stall nicht richtig geschlossen war, oder war es nur der Instinkt, der ihm sagte, dass irgendetwas nicht stimmte?
Langsam ging er durch die Wiese, auf der wir wegrobbten. Zumindest waren wir schon so weit gekommen, dass uns der Schein des Hoflichtes nicht mehr erfasste. Ein paar wenige Meter nur mehr, dann würden wir die Bäume erreicht haben. In ihrem Schutz könnten wir uns aufrichten und wegrennen. Da fühlte ich plötzlich einen stechenden Schmerz. Er wurde durch eine Schlinge verursachte, die sich um mein Bein gelegt hatte. Ich konnte nicht aus. Dennoch tat ich das einzig Richtige. Ich drückte Dir das Baby in die Hand und beschwor Dich, es in Sicherheit zu bringen. Dann setzte ich mich auf und zog die Metallschlinge von meinem Bein.
Die Polizei kam und nahm mich mit. Du und das Ferkel, ihr ward in Sicherheit. Ich auch bald. Dauernde Sachentziehung. Diebstahl. Leben, das auf Unrecht, Gesetzlosigkeit errichtet war.
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